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Verstärkte Hagelgefahr - was bringt der Hagelflieger?

Dr. Dietmar Rupp

Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein und Obstbau Weinsberg

Brauneberg, Durbach, Beilstein .... Im vergangenen Jahr wurde die Liste der Hagelgemeinden besonders lang. Ist es Zufall oder haben die Hagelschäden im deutschen Weinbau 2011 deutlich zugenommen? Sind zerschlagene Trauben, entblätterte Triebe (Abbildung 1) oder umgeknickte Rebreihen einfach nur Pech oder sind die Extremereignisse schon ein Vorgeschmack auf künftige, noch heftigere Unwetter? Wie steht es um die Unwetterwarnung und was ist vom Hagelflieger zu erwarten? Alles Fragen, die spätestens beim Herannahen der nächsten Gewitterwolke wieder in den Sinn kommen.

 

Hagelschlag vom 12.7.2011 in Beilstein/Landkreis Heilbronn. Innerhalb weniger Minuten waren die Triebe vollständig entblättert und die Trauben bis zu 100 % zerstört.

Abbildung 1: Hagelschlag vom 12.7.2011 in Beilstein/Landkreis Heilbronn. Innerhalb weniger Minuten waren die Triebe vollständig entblättert und die Trauben bis zu 100 % zerstört.

 

 

Tabelle 1:  Hagelereignisse der letzten vier Jahre in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg  mit starken Schäden im Weinbau

2011

26. August

24. August

       12. Juli

       05. Juni

Mittelmosel, Veldenz, Brauneberg

Durbach, Oppenheim

Beilstein

Wonnegau, Nordpfalz

2010

10. Juni

Südpfalz

2009

26. Mai

Bodensee, Meersburg, Hagnau

2008

30. Mai

Korb, Großbottwar

Quelle:  Vereinigte Hagel (www.vereinigte-hagel.net)



Hagel - Geschosse aus dem Windkanal

Von zartweißem Schleier bis zu schwarzblauer Finsternis reicht die Verwandlungskunst der Wolken.

Was stimmungsvoll als Schäfchenwolke oder dichte Regenfront daherkommt, ist nüchtern betrachtet das Ergebnis physikalischer Vorgänge, eine Ansammlung feinster Wassertröpfchen oder Eiskristalle. Wie aus dem Nichts entstehen Wolken, wenn sich Luft abkühlt und der gespeicherte Wasserdampf auskondensiert. Mit der Kondensation kommt es aber auch zur Energieumsetzung, denn die für das Verdampfen aufgewendete Energie wird als Wärme freigesetzt. Hält sich dies in Grenzen, so ziehen blumenkohlartige Haufenwolken über den Himmel. Bringt sommerheiße Luft sehr viel gespeicherte Feuchtigkeit mit, entstehen große, bis zu 12 000 m hohe Wolkentürme (Abbildung 2).

 

  

Gewitterwolken können bis in 12 km Höhe aufquellen

Abbildung 2: Gewitterwolken können bis in 12 km Höhe aufquellen

 

Diese Cumulonimbuswolken  können sich zu wahren Monstern, sogenannten Superzellen auswachsen. Während starke Regenschauer herunterprasseln, bilden sich in ihrem Inneren mächtige Aufwindkanäle. Ständig liefert die Kondensation neuen Wärmenachschub, der die Luftmassen nach oben treibt. Die elektrische Ladung, verursacht durch die Reibung der Luftteilchen, entlädt sich mit Blitz und Donner. In großer Höhe bei etwa - 20° C gefriert das Wasserkondensat zu Graupel. Diese Eisbällchen fallen nach unten, beginnen zu schmelzen und werden wieder empor gerissen. Im kräftigen Aufwind, der bis zu 100 km/h schnell sein kann, wird dieser "Hagelembryo" mit immer neuen Schichten versehen (Abbildung 3). Irgendwann ist das Hagelkorn so schwer, das es vom Aufwind nicht mehr getragen wird und nach unten fällt. Große Unterschiede gibt es bei Form und Größe der Hagel. In den Rekordsammlungen der Meteorologie finden sich Berichte über bis zu 20 cm dicke und nahezu kiloschwere Hagelgeschosse, die mit geschätzten 150 km/h am Boden aufschlugen. Neben der Masse und Aufschlagenergie der Hagelkörner ist die Gesamtmenge an Hagel pro Quadratmeter und vor allem der Seitenwind für die Schadenshöhe verantwortlich.

 

Hagelkorn vom 30.5.08. Der schichtförmige Aufbau ist deutlich zu erkennen.

Abbildung 3: Hagelkorn vom 30.5.08. Der schichtförmige Aufbau ist deutlich zu erkennen.

  

Mehr Gewitter im Bergland und in Stadtnähe

Hagelschäden im Weinbau sind nichts Neues. Und da auch alte Weinchroniken seit Jahrhunderten von Sturm und Wetterschlag berichten, scheinen Weinberge den Hagel geradezu anzulocken (Tab. 1)

Kombiniert mit der Diskussion um den Klimawandel würde dies zwangsläufig auf eine Zunahme der schweren Sommergewitter in den Weinbauregionen hinauslaufen. Vor die Spekulation gehört jedoch ein gründlicher Ortstermin. Am Beispiel des Neckarraumes soll der typische Ablauf der Gewitterbildung in einer Weinbauregion kurz beleuchtet werden. Wie bereits ausgeführt, setzen Gewitter labile Luftmassen mit kräftigem Auftrieb und starker Kondensation in großen Höhen voraus. Hierzu bedarf es entweder starker Überhitzung von bodennahen Luftschichten oder dem Herannahen einer Kaltfront. In beiden Fällen gelangt warm-feuchte Luft sehr schnell in große Höhen. Solche Hebungsprozesse sind auch an Geländestufen zu beobachten. So hatte das Hagelgewitter von Korb/Remstal vom 30.5.08 seinen Ursprung am Albtrauf bei Reutlingen (Abbildung 4).

 

Das Hagelgewitter vom 30.5.2008 im Radarbild

Abbildung 4: Das Hagelgewitter vom 30.5.2008 im Radarbild. Das Gewitter bildete sich bei Reutlingen am Rand der Schwäbischen Alb und zog nach Norden zum Rems- und Bottwartal. In den Bereichen hoher Regenraten (grün und weiß) besteht der Niederschlag meist auch aus Hagelkörnern. (Quelle: www.radar-info.de)

 

 

Der Grossteil der württembergischen Rebflächen liegt am Rand der Keuperstufe, im Vergleich zur westlich vorgelagerten Gäulandschaft ergeben sich Höhenunterschiede von bis zu 350 Metern. Anströmende Luft wird hier zum Aufstieg gezwungen. Dieser altbekannte "Luv-Effekt" sorgt für erhöhte Niederschläge auf der Vorderseite und für den Regenschatten auf der Rückseite der "Gebirge". Und hier hat sich offenbar etwas verändert. Seit Mitte der 1970er Jahre hat der Sommerniederschlag beispielsweise am Rand der Löwensteiner Berge nordöstlich von Stuttgart signifikant zugenommen. Also muss auch die Wasserfracht der einzelnen Sommergewitter größer geworden sein. Verdampftes Wasser ist, wie wir oben gesehen haben, der Treibstoff der gefährlichen Gewitterzellen.

Tatsächlich zeigt die Hagelkarte der SV-Gebäudeversicherung einen deutlichen Zuwachs im Bereich der baden-württembergischen Hagelbrennpunkte seit 1985. Demnach haben die Hageltage besonders entlang des Schwarzwaldes, am Odenwald, im mittleren Neckarraum und vor allem am westlichen Bodensee zugenommen. Nach anderen Quellen wurden für Stuttgart und Bergzabern im Zeitraum 1991 - 2000 doppelt so viele Hageltage gezählt wie in den 10 Jahren zuvor.

Damit scheint eines sicher: Ob am Rand von Schwäbischer Alb oder Schwarzwald, in den Vogesen, im Pfälzer Wald, im Hunsrück oder im Voralpenraum von Basel bis nach Kufstein - überall wo das Relief die Luftmassen zum Aufsteigen zwingt, besteht direkt und in der Nachbarschaft verstärkte Hagelgefahr.

Doch nicht nur die Landschaftsform, auch großflächig-dichte Bebauung und das damit einhergehende Stadtklima kann die Gewitter- und Hagelneigung vergrößern. Eine erhitzte Luftglocke kann die einsetzende Konvektion weiter verstärken. Bereits in den 1930er Jahren wurde für das Münchener Umland eine entsprechende Häufung von Starkregen und Hagel nachgewiesen. Und was für die bayerische Landeshauptstadt gilt, wird zumindest meteorologisch in anderen Ballungsräumen wie rund um Stuttgart oder dem Rhein-Mai-Gebiet nicht viel anders sein.

Dass die Saison der hagelträchtigen Gewitter seit einigen Jahren früher einsetzt und sich intensiver entwickelt, droht zur Gewissheit zu werden. Nicht nur die zunehmend raschere Erwärmung im Frühjahr mit oft sommerlichen Temperaturen im April und Mai ist ein deutlicher Hinweis. Bestätigt wurden diese Vermutungen kürzlich auch von führenden Wissenschaftlern während des Hamburger Extremwetterkongresses im vergangenen März: Stürme sind häufiger geworden und auch in den nächsten Jahren ist vermehrt mit Unwettern zu rechnen.

Schutzimpfung mit Silberjodid

Ein wichtiger Baustein zur monetären Absicherung von Hagelschäden ist zweifelsohne die Hagelversicherung. Den passiven Hagelschutz im Weinbau haben bewegliche Hagelschutznetze um eine weitere Option erweitert. Ob versichert oder eingenetzt - für Schutz und Absicherung sind Vorleistungen (Versicherungsprämien bzw. Investitionen) notwendig. Und damit kostet das Versichern und das Einnetzen immer Geld - auch wenn es glücklicherweise nicht  hagelt. Im Schadensfall springt die Versicherung ein, doch wenn die Trauben fehlen, lässt sich eine kontinuierliche Marktbelieferung nicht aufrechterhalten.

Deshalb setzen weltweit und auch in Mitteleuropa einige Weinbauregionen auf die direkte Hagelbekämpfung mit dem Hagelflieger.  Das Prinzip des Verfahrens besteht darin, dass die Gewitterwolken mit Silberjodid "beimpft" werden, um ein früheres Abregnen zu erzwingen. Hierzu wird ein Aceton-Silberjodid-Gemisch in speziellen "Generatoren" verbrannt (Abbildung 5). Übrig bleiben feinstverteilte Kondensationskerne.  Sie sollen Regen auslösen oder zumindest die Ausbildung großer Hagelkörner im Entstehen verhindern. Mit 1 - 2 g / ha dürfte dabei der Silberjodid Eintrag in die Landschaft kaum messbar sein.

 

Abbildung 5: Ein Hagelflieger der Hagelabwehrregion Stuttgart. Unterhalb der Tragflächen sind die "Generatoren" (Silberjodid-Brenner) angebracht. (Foto: LRA Rems-Murr-Kreis, Geschäftsbereich Landwirtschaft)

 

 

Bereits seit 1980 schickt die Hagelabwehrregion Stuttgart ihre Hagelflieger in die Wolken. Koordiniert durch den Rems-Murr-Kreis sind hier Land, Kommunen, Firmen sowie Obst- und Weinbauverbände an den Kosten beteiligt. Ebenfalls mehr als drei Jahrzehnte arbeitet östlich von Graz die Steirische Hagelabwehrgenossenschaft für den Obst- und Weinbau. Während der Saison stehen dort drei Cessna bereit, die mit turbinenförmigen Silberjodidbrennern den Kampf mit dem Gewitter aufnehmen. Auch für die Winzer rund um Langenlois steigt seit gut zwanzig Jahren der Hagelflieger auf. Südlich des Bodensees operiert in den Kantonen Thurgau und St. Gallen der Hagelabwehrverband Ostschweiz. Im Dreieck der Städte Konstanz - Wil - St.Gallen verzichtet man auf teure Flugzeuge und setzt ganz im Sinne des schweizerischen Milizsystems auf dezentrale Aktivitäten. Mehr als 250 Obstbauern und Winzer haben eine spezielle "Schützen"-ausbildung erhalten und dürfen das Silberjodid mit Hagelraketen in den Himmel schießen. Da die Raketen bis zu 1500 m hoch aufsteigen, muss vor einer Bekämpfungsaktion die Flugsicherung Skyguide konsultiert werden. Ganz neu im Geschäft ist die Hagelabwehr Vorder- und Südpfalz. Der Verein entstand als Reaktion auf die verheerenden Hagelschäden der letzten beiden Jahre und will in diesem Jahr erstmals einen Hagelflieger einsetzen.

 

Wohin rollt die Kugel?

Über den Erfolg der Hagelfliegerei gibt es seit den ersten Versuchen unterschiedliche Meinungen. Während die Verfechter der Wolkenimpfung sich ihrer Sache sicher sind, halten die Gegner die Versuche zur Wetterbeeinflussung für reine Selbsttäuschung. In der Steiermark ergaben die wissenschaftlichen Begleituntersuchungen immerhin eine Abnahme der Hageltage und eine absolute und relative Abnahme der großen Hagelkörner über 2 cm Durchmesser.

Im Gegensatz zu den Anfangsjahren des Hagelfliegers können gefährliche Wolken heutzutage mit Radar aufgespürt werden. Internet und Mobilfunk sorgen für eine schnelle Datenübertragung und durch  GPS kann das Sprühflugzeug an den richtigen Einsatzpunkt geführt werden. Gegenwärtig arbeiten Ingenieure der Hochschule Rosenheim an Verfahren zur Optimierung des Hagelabwehrfluges.

Trotz dieser Entwicklungen ist aber die explosive Dynamik von Sommergewittern immer noch nicht richtig vorhersehbar.

Ein Spezialist in der Hagelforschung ist der Karlsruher Professor Klaus-Dieter Beheng, der gegenwärtig auch die Hagelabwehr rund um Stuttgart wissenschaftlich begleitet. Nach seinen bisherigen Aussagen besteht noch weiterer Klärungsbedarf, um die Wirksamkeit der Hagelfliegerei abschließend bewerten zu können. Unbestritten ist, dass die Hagelabwehr nur dann funktionieren kann, wenn das Silberjodid  rechtzeitig in die Wolke kommt. Denn darin sind sich die Gewitterforscher einig: Wenn sich bereits erste Hagelkörner gebildet haben, ist es zu spät.

Dass die Hagelbildung gar nicht erst einsetzen darf, kommt auch dem Hagelflugzeug selbst zu gute. Der Autor dieses Beitrags erinnert sich an eine denkwürdige Vorlesung des Hohenheimer Agrarmeteorologen W. Müller, der als Betreuer des ersten großen Hagelabwehrprojektes der Region Stuttgart Anfang der 1980er Jahre in ständigem Kontakt mit dem Stuttgarter Flughafen stand. In jenen Zeiten ohne Smartphone und SMS unterbrach ein Bote den Unterricht, um dem Professor das vorzeitige Ende der Hagelflugsaison mitzuteilen. Ein großes Hagelkorn hatte beim vorangegangenen Einsatz die Fahrwerkshydraulik des Hagelfliegers beschädigt.

Ob eine Wolkenimpfung tatsächlich Schlimmeres verhüten kann, lässt sich direkt nicht beweisen. Niemand kann sagen, was ohne die Maßnahme passiert wäre. Hagelgewitter sind Einzelereignisse, eine Versuch mit Null-Variante ist nicht möglich. Es ist, als wolle man durch Abtasten die Richtung einer Billardkugel erkennen. Bereits die kleinste Berührung wird den Lauf der Kugel beeinflussen. Dies war auch das methodische Problem des 25 Jahre zurückliegenden Großversuchs im Raum Stuttgart. Immerhin belegte die Auswertung der Hagelstatistik damals für das Schutzgebiet eine deutlich geringere Zunahme der gemeldeten Schäden als im nicht beflogenen Bereich.

Fazit

Extreme Niederschlagssituationen mit sintflutartigem Regen und starkem Hagel sind langjährige, aber unerwünschte Begleiter der südwestdeutschen Weinbaugebiete. Durch die jeweilige Landschaftsform und die Nähe zu Mittelgebirgen und Ballungszentren sind einige Weinbauregionen besonders hagelgefährdet. Dass die Sommergewitter aufgrund des Klimatrends künftig noch etwas kräftiger ausfallen, ist nicht auszuschließen.

Zur direkten Hagelbekämpfung werden Hagelflieger oder Hagelraketen eingesetzt. Fein verteiltes Silberjodid soll in den Wolken die Bildung von großen Hagelkörnern verhindern. Der objektive Nachweis der Wirksamkeit ist nach wie vor schwer zu führen. Die Ergebnisse neuer Forschungsarbeiten sind in Kürze zu erwarten.

 

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