Hagel - alles Zufall oder wird es schlimmer?
Dr. Dietmar Rupp
LVWO Weinsberg
Am 30. Mai des vergangenen Jahres hinterließ ein starkes Gewitter eine Spur der Verwüstung von Waiblingen über Korb hinüber ins Bottwartal und bis ins Weinsberger Tal. Golfballgroße Hagelkörner und Windbruch verursachten auf über 150 ha starke Schäden an den Rebstöcken (Abbildung1).
Abbildung 1: Hagelschaden am Großbottwarer Harzberg
War dies ein hoffentlich seltenes Extremereignis oder schon ein Vorgeschmack auf künftige, noch heftigere Unwetter ? Starke Sommergewitter mit Sturzregen und Hagelschlag sind seit jeher die lästigen Begleiter des Weinbaus. Erinnert sei an den Hagelschlag vom Juni 2000 in Fellbach oder an das Hagelunwetter im August 1972. Die sintflutartigen Regenfälle taten damals ein Übriges. In Stuttgarter Straßenunterführungen und Kellern kamen sechs Menschen ums Leben.
Hagel und Sturm - das Geheimnis der Wolken
Von zartweißem Schleier bis zu schwarzblauer Finsternis reicht die Verwandlungskunst der Wolken.
Was stimmungsvoll als Schäfchenwolke oder dichte Regenfront daherkommt, ist nüchtern betrachtet das Ergebnis physikalischer Vorgänge, eine Ansammlung feinster Wassertröpfchen oder Eiskristalle. Wie aus dem Nichts entstehen Wolken, wenn sich Luft abkühlt und der gespeicherte Wasserdampf auskondensiert. Mit der Kondensation kommt es aber auch zur Energieumsetzung, denn die für das Verdampfen aufgewendete Energie wird als Wärme freigesetzt. Hält sich dies in Grenzen, so ziehen blumenkohlartige Haufenwolken über den Himmel. Bringt sommerheiße Luft sehr viel gespeicherte Feuchtigkeit mit, entstehen große, bis zu 12.000 m hohe Wolkentürme (Abbildung 2).
Abbildung 2: Gewitterwolken können bis in 12 km Höhe aufquellen
Diese sogenannten Cumulonimbuswolken können sich zu wahren Monstern, sogenannten Superzellen auswachsen. Während starke Regenschauer herunterprasseln, bilden sich in ihrem Inneren mächtige Aufwindkanäle. Ständig liefert die Kondensation neuen Wärmenachschub, der die Luftmassen nach oben treibt. Die elektrische Ladung, verursacht durch die Reibung der Luftteilchen, entlädt sich mit Blitz und Donner. In großer Höhe bei etwa -20° C gefriert das Wasserkondensat zu Graupel. Diese Eisbällchen fallen nach unten, beginnen zu schmelzen und werden wieder empor gerissen. Im kräftigen Aufwind, der bis zu 30 m/sec schnell sein kann, wird dieser "Hagelembryo" mit immer neuen Schichten versehen (Abbildung 3). Irgendwann ist das Hagelkorn so schwer, das es vom Aufwind nicht mehr getragen wird und nach unten fällt. Große Unterschiede gibt es bei Form und Größe der Hagel. In den Rekordsammlungen der Meteorologie finden sich Berichte über bis zu 20 cm dicke und nahezu kiloschwere Hagelgeschosse, die mit geschätzten 150 km/h zu Boden fielen. Neben der Masse und Aufschlagenergie ist die Gesamtmenge an Hagel und vor allem der Seitenwind für die Schadenshöhe verantwortlich.
Abbildung 3: Hagelkorn vom 30.5.08. Der schichtförmige Aufbau ist deutlich zu erkennen
Mehr Gewitter im Bergland und in Stadtnähe
Es ist nicht anzunehmen, dass die zurückliegenden merklich kalten Wintermonate in Sachen Klima eine Trendumkehr einläuten. Zu deutlich ist die stetige Erwärmung während der letzten Jahrzehnte.
Folgt aber daraus zwangsläufig eine Zunahme der schweren Sommergewitter ? Aus dem Blickwinkel des hiesigen Weinbaus lohnt es sich, einmal typische Orte und Arten der Gewitterbildung in unserer Region näher zu betrachten. Wie bereits ausgeführt, setzen Gewitter labile Luftmassen mit kräftigem Auftrieb und starker Kondensation in großen Höhen voraus. Hierzu bedarf es entweder starker Überhitzung von bodennahen Luftschichten oder dem Herannahen einer Kaltfront, bei der warm-feuchte Luft schlagartig angehoben wird. Solche Hebungsprozesse sind auch an Geländestufen zu beobachten. So hatte das Hagelgewitter vom 30.5.08 seinen Ursprung am Albtrauf bei Reutlingen. Der Grossteil der württembergischen Rebflächen liegt am Rand der Keuperstufe, im Vergleich zur westlich vorgelagerten Gäulandschaft ergeben sich Höhenunterschiede von bis zu 350 Metern. Anströmende Luft wird hier zum Aufstieg gezwungen. Dieser altbekannte "Luv-Effekt" sorgt für erhöhte Niederschläge auf der Vorderseite und für den Regenschatten auf der Rückseite der "Gebirge" (Stromberg - Zabergäu). Und hier hat sich offenbar etwas verändert. Seit Mitte der 1970er Jahre hat der Jahresniederschlag und ebenso der Sommerniederschlag beispielsweise am Rand der Löwensteiner Berge signifikant zugenommen. Trotz einiger Trockenperioden muss die Wasserfracht der einzelnen Sommergewitter größer geworden sein. Und verdampftes Wasser ist, wie wir oben gesehen haben, der Treibstoff der gefährlichen Gewitterzellen.
Tatsächlich zeigt die Hagelkarte der SV-Gebäudeversicherung einen deutlichen Zuwachs im Bereich der baden-württembergischen Hagelbrennpunkte seit 1985. Demnach haben die Hageltage besonders entlang des Schwarzwaldes, am Odenwald, im mittleren Neckarraum und vor allem am westlichen Bodensee zugenommen. Soweit die Einschätzung der Versicherungsmathematiker. Ob und wie stark die Hagelschäden seitdem auch bei den Feldkulturen zugenommen haben, lässt sich nicht genau sagen. Denn die seit den 1950er Jahren geführte Hagelstatistik des Statistischen Landesamtes wurde 1995 eingestellt.
Doch nicht nur die Landschaftsform, auch großflächig-dichte Bebauung und das damit einhergehende Stadtklima kann die Gewitter- und Hagelneigung vergrößern. Eine erhitzte Luftglocke kann die einsetzende Konvektion weiter verstärken. Bereits in den 1930er Jahren wurde für das Münchener Umland eine entsprechende Häufung von Starkregen und Hagel nachgewiesen. Und was für die bayerische Landeshauptstadt gilt, wird am Neckar zumindest meteorologisch nicht viel anders sein.
Dass die Saison der hagelträchtigen Gewitter seit einigen Jahren früher einsetzt, kann nur vermutet werden. Die für unsere Region nachgewiesene raschere Erwärmung mit frühsommerlichen Temperaturen im April und Mai legen diesen Schluss jedenfalls nahe.
Was bringt die Hagelabwehr ?
Mit Hilfe moderner Hochleistungsrechner, erdumspannender Datennetze und genauer Satellitenbeobachtung sind die Wettervorhersagen im Herbst, Winter und Frühjahr recht präzise geworden. Für Kurzzeitprognosen haben sich zwischenzeitlich im Internet verfügbare Radardienste (Regenradar) einen Namen gemacht. Dort war auch das Gewitter vom 30.5.2008 zumindest in seinem Entstehungsgebiet bei Reutlingen und in seiner Zugrichtung zu erkennen (Abbildung 4).
Abbildung 4: Hagelgewitter am 30.5.2008. Das Gewitter bildete sich am Albtrauf und zog nach Norden zum Rems- und Bottwartal.
In den Bereichen hoher Regenraten (grün und weiß) besteht der Niederschlag meist auch aus Hagelkörnern. (Quelle: www.radar-info.de)
Im wahrsten Sinn des Wortes schwer zu berechnen sind jedoch die Ausmaße der Sommergewitter. Der deutsche Wetterdienst, die Universitäten Karlsruhe und Hohenheim und Partner aus dem Ausland betreiben im Schwarzwald eine großes Forschungsprojekt, um vor allem die Prognose von Sommerniederschlägen zu verbessern. Einher geht damit die Bewertung der Hagelgefahr. Hagelwarnung und Hagelbekämpfung sind mittlerweile keine akademischen Fragen mehr. Seit der Fernsehmeteorologe Jörg Kachelmann die Hagelfliegerei als nutzlos abgetan hat, wird der fachliche Streit auch öffentlich ausgetragen. Ein Spezialist in der Hagelforschung ist der Karlsruher Professor Klaus-Dieter Beheng. Nach seiner Meinung weiß man für eine klare Aussage noch zu wenig. Bei einer Bezirksversammlung des Weinbauverbandes im Februar gab er zu bedenken, dass eine Hagelabwehr aber nur dann funktioniere, wenn das Silberjodid rechtzeitig in die Wolke komme. Wenn sich bereits erste Hagelkörner gebildet hätten, sei es zu spät.
Dass die Hagelbildung gar nicht erst einsetzen darf, kommt auch dem Hagelflieger selbst zu gute. Der Autor dieses Beitrags erinnert sich an den Hohenheimer Professor W. Müller, der als Betreuer des großen Hagelabwehrprojektes Anfang der 1980er Jahre in ständigem Telefonkontakt mit dem Stuttgarter Flughafen stand. Während einer Vorlesung wurde er ans Telefon gerufen, um uns später zu berichten, dass der Hagelflieger trotz Gewittergefahr nicht mehr starten könne. Ein großes Hagelkorn hatte beim vorangegangenen Einsatz die Fahrwerkshydraulik beschädigt.
Ob eine Wolkenimpfung Schlimmeres verhüten kann, lässt sich direkt nicht beweisen. Niemand kann sagen, was ohne die Maßnahme passiert wäre. Dies war auch das methodische Problem des 25 Jahre zurückliegenden Großversuchs. Immerhin ergab die Auswertung der erwähnten Hagelstatistik damals eine geringere Zunahme der gemeldeten Schäden innerhalb des Versuchsgebietes.
Fazit
Unabhängig von langjährigen Normalwerten und typischen Wetterlagen kommt es bei uns immer wieder zu unerwarteten und extremen Niederschlagssituationen mit sintflutartigem Regen und starkem Hagel.
Durch die jeweilige Landschaftsform und die Nähe zu Ballungszentren sind einige Landesteile besonders hagelgefährdet. Der Klimatrend lässt in einigen Bereichen des Anbaugebietes zudem eine Verstärkung der Sommerniederschläge vermuten. Dass vor allem einzelne Sommergewitter künftig noch etwas kräftiger ausfallen ist nicht auszuschließen.