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Burg Wildeck – Von der Putzscheere zu Sauvitage 


Historisch und weinbaulich ist die Geschichte der Burg Wildeck mit ihren gut 13ha Rebfläche einzigartig und alles andere als eintönig. Wann genau mit der kulturellen Erschließung dieser topografisch bemerkenswerten, von Wäldern und Wiesen fast vollkommen umrahmten Höhenlage am Rand der Löwensteiner Berge begonnen wurde, ist nicht exakt zu datieren. Es gilt aber als plausibel, dass die Besiedlung erst relativ spät im Hochmittelalter auf Betreiben des Königsgutes Ilsfeld erfolgte, da die Böden an den Hängen im Gegensatz zu den ackerbaulich interessanteren, fruchtbaren Lössflächen als minderwertig galten. Andererseits war der Bergsporn, der bis heute die Gebäude der Burg Wildeck trägt, in den politisch unruhigen Zeiten der Epoche ein idealer Ort um die Lehensgrenzen und Fernwege im Blick zu behalten. In dieser Funktion vermutlich durch die Herren von Heinriet gegründet, wechselte die Burg mit ihren Nutzflächen dann im Lauf der Jahrhunderte häufig den Besitzer, gehörte mal den Grafen von Löwenstein, dann als Leihgabe denen von Neippberg, wurde zwischendurch von Österreich verwaltet, wurde im Bauernkrieg zerstört, wieder aufgebaut, ging in die Hände des Fürstbischofs von Wien, dann in die eines Mockmühler Obristen, wurde im 17. Jahrhundert von den Löwensteinern zurück gekauft und ist nun seit 90 Jahren im Besitz des Staates.

Der An- und Ausbau von Wein scheint seit der Urbarmachung der konkaven Hänge unterhalb der Burg eine wichtige Nutzungsgröße gewesen zu sein. Diese Kontinuität steht allerdings im Gegensatz zur dynamischen Variabilität der weinbaulichen Philosophie von Wildeck. Urkundlich gesicherte Aussagen stehen zwar erst seit etwa 400 Jahren zu Verfügung, aber wo manches familiengeführte Weingut auf eine längere Tradition zurückblickt und manche berühmte Lage auf eine längere Kontinuität der Rebsortenwahl, scheint die Burg Wildeck auch in vitikultureller Hinsicht schon immer auf Vielfalt gesetzt zu haben. Im Jahr 1653 lobt ein Besucher ausdrücklich den Muscateller, spricht im gleichen Atemzug von einem kräftigen Trunkh und erwähnt beiläufig und zusammenfassend das übrige gewächs, von dem heute zu vermuten ist, dass es sich dabei um Silvaner, Elbling, Traminer und Putzscher (vgl. Putzscheere, eine spätreifende, meist im gemischten Satz angebaute weiße Rebsorte) gehandelt hat. Mit umgerechnet durchschnittlich 60 hl ha-1 war man damals auf einem balancierten Niveau.

Nachdem in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine Neuordnung der Wildecker Rebflur umgesetzt und u. a. die Infrastruktur der Wirtschaftswege verbessert wurde, erfuhr mit Anlage der gestaffelten Stauseen auch die funktionale Heterogenität der Landschaft eine Aufwertung nach damaligem Wissenstand. Zugleich machte technischer Fortschritt den Direktzug möglich und erforderte neben einer Neustrukturierung der Weinbergsmauern auch punktuelle Planierungen (Nivellierungen), die jedoch im Einklang mit den für Landschaftsschutzgebiete gültigen Auflagen weder auf die Topografie noch auf die Funktionalität der verschiedenen Landschaftselemente wesentlichen Einfluss hatten.

Weinbaulich bieten die südwärts geneigten Hänge mit ihrer kühlen Höhenlage (330 - 370 m NHN) und dem damit verbundenen Standortklima einige Vorteile. Ein im Vergleich mit den anderen Lagen des Staatsweingutes höherer Niederschlagsdurchschnitt bei gleichzeitig weitestgehend nebelfreien und trocken-warmen Mikroklimata im Herbst ermöglicht weite Vegetationsspannen und ein spätes Ausreifen. Andererseits können die waldnahen Parzellen und die keuperbürtigen, vornehmlich von sandig-tonigem Mergel geprägten Böden auch Herausforderungen mit sich bringen. Ideale Bedingungen also für Innovationsgeist(er), Zukunftsvisionen und die Versuche neue Ansätze in der Weinbaupraxis auf wissenschaftliche und landwirtschaftliche Tragfähigkeit zu prüfen.

Das mit Idealismus gelegentlich mehr Wissenszuwachs als monetärer Profit erwirtschaftet wird, zeigt der 1993 in Richtung Zukunft unternommene Schritt zur Umstellung des Versuchsbetriebes auf ökologische Bewirtschaftung. Als damaliges Mitglied des Naturlandverbandes wurde auf chemisch-synthetischen Pflanzenschutz ebenso verzichtet wie auf Nährstoffausgleiche durch Mineraldünger. Dass aber ein Wirtschaften gemäß ökologischer Richtlinien nicht gleichbedeutend ist mit einem Wirtschaften im Sinne einer agronomisch fundierten Naturbegleitung zum Zweck der Traubengewinnung, dass Mittelreduktion und zwar extensive aber arbeitsintensive Produktionssysteme nicht mit einem ganzheitlichen Verständnis ökosystemarer Wirkungsnetze sinngleich sind, hat das Scheitern dieser ersten ökologischen Offensive im Jahr 2002 sehr lehrreich unterstrichen.

Die Einhaltung von Mindeststandards ist zwar wünschenswert und ein wichtiger und richtiger erster Schritt zum Schutz weinbaulich organisierter Ökosysteme. In Zeiten des Klimawandels, veränderter Kundenansprüche und kritischen Biodiversitätswerten ist aber auch erneuter Pioniergeist gefragt. Nach der abermaligen Umstellung auf ökologischen Weinbau seit 2021 und der geplanten vollständigen Zertifizierung im Jahr 2025 möchte sich die Burg Wildeck nun als Pilot-Betrieb für ein praxisnahes Versuchswesen etablieren und im Einklang mit den Bedürfnissen des Weinbergs als Ökosystem prüfen, wie sich u. a. Bodenmeliorationsmaßnahmen, Resilienzsteigerung und der Erhalt diverser Landschaftsmuster mit Produktionssicherung und Traubenqualität verbinden lassen.

In dieser Hinsicht werden derzeit großangelegte Freilandexperimente zur Biotopvernetzung über Kleinkorridore gebietsheimischer Vegetation umgesetzt; bei neuen Begrünungskonzepten werden die Einflüsse ebenfalls regionaltypischer Saaten auf den Wasserhaushalt und das Bodenleben beobachtet. Durch das MLR (Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz) wird das Projekt „Untersuchungen zur Bewirtschaftung des Unterstockbereichs im Weinbau unter Berücksichtigung der speziellen Anforderungen im Steil-, Seitenhang und auf terrassierten Weinbergen und ihre Auswirkungen auf die biologische Vielfalt“ gefördert. Neu angelegte Piwi-Flächen, auf denen neben Calardis Blanc, Floreal, Sauvignac, Souvignier Gris insbesondere auch die vielversprechende Weinsberger Neuzüchtung Sauvitage wächst, werden zukünftig Aussagen über PSM-Einsparungspotentiale, Einsatzfähigkeiten in der Önologie und über die Anpassungsfähigkeit an veränderte und anspruchsvoller gewordener Vegetationsperioden erlauben. Phytomedizinisch motivierte Versuche zu neuen oder bislang wenig genutzten Erziehungssystemen (z.B. Umkehrerziehung und Glockenerziehung) sollen überdies zeigen, wie sich die Reb- und Traubengesundheit mittels der Stockarchitektur und des Laubwandmanagements anpassen und bestenfalls steigern lassen. Außerdem geplant sind Experimente zur Standortgüte verschiedener Unterlagssorten und deren Beiträgen zur Wassernutzungseffizienz und der Nährstoffaquise im Rhizosphärenbereich. Im weiteren Zusammenhang ist hier auch das Bodenmikrobiom von vordringlichem Interesse. Bestehend aus Pilzen (u.a. Hefen), Archaeen und Bakterien, bestimmt diese subterrane Lebensgemeinschaft die Pflanzenphysiologie und somit die Pflanzengesundheit, d.h. auch die Gesamtnutzungseffizienz der Pflanze als Ökosystem- und Ernährungsdienstleister in einem kaum zu überschätzen-den Ausmaß. In Zusammenarbeit mit dem Analytik- Department der LVWO werden diese Wechselwirkungen nun unter die Lupe genommen. Oberirdisch wird die Pflege der Wasserstaffeln, der angrenzenden Randstrukturen und weiterer Strukturelemente, zukünftig durch eine Beweidung mit Schafen und Ziegen erfolgen – die entsprechen-den Kooperationen wurden getroffen und die erhofften Synergien werden betriebswirtschaftlich analysiert.

Geschichte und Tradition verpflichten zu Zukunft und Innovation. Zugleich muss Evolution auch immer als Dynamik aus Scheitern und Weitermachen begriffen werden und im Grunde gilt das auch für den Weinbau: die Natur lehrt die Winzer*innen Demut, aber sie fordert sie auch gleichzeitig zu Um- und Neudenken auf. Glücklicherweise hält sie dafür täglich ungezählte Beispiele bereit – wir müssen nur hinsehen, gründlich beobachten und – von ihr lernen. 

Referat Weinbau LVWO

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