Bio-Wachstumsregulatoren
Chancen und Risiken beim Einsatz im Weinbau
Von Dr. W. K. Kast, R. Fox und H.-C. Schiefer,
Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg
Email:walter.kast@lvwo.bwl.de
Einleitung
Die Produktion höchstmöglicher Qualität ist das Ziel, das in den letzten Jahren größte Bedeutung in der weinbaulichen Produktion erlangt hat. Erträge werden unter dieser Zielvorgabe reduziert oder begrenzt. Diese Entlastung und der damit verbundene optimale Reservestoffhaushalt führt in der Regel zu deutlicher Zunahme des Wachstums der Reben und als Folge davon zu großen und kompakten Trauben. Besonders problematisch wirkt sich dieser Umstand bei den von Natur aus schon kompakten Traubensorten, insbesondere der Burgundergruppe (Weiß‑, Grau‑, und Spätburgunder, Samtrot und Schwarzriesling) aus. Die Folge ist eine drastische Zunahme des Befalls durch Fäulniserreger (Botrytis, Essigfäule u. a.). Auch bei sorgfältigster Lese verbleibt eine extrem hohe mikrobielle Belastung auf dem Erntegut, so dass das angestrebte Ziel sortentypischer, klar strukturierter Weine oft nicht erreicht wird.
Alle Maßnahmen, die die Kompaktheit der Trauben verringern, haben deshalb größte Bedeutung, insbesondere die Steuerung der Wachstumsintensität. In der Praxis ist es oft schwierig, das Wachstum eines Bestandes richtig zu beurteilen. Das Gewicht des Schnittholzes ist dafür ein ideales Maß. Als grober Anhaltspunkt sollte das Gewicht des geschnittenen Rebholzes möglichst nicht mehr als ¼ des Traubenertrages betragen. Trauben teilen und Abstreifen von Beeren sind weitere zielführende, allerdings arbeitsaufwändige Maßnahmen. Bio-Wachstumsregulatoren (speziell Gibberelline) werden seit einigen Jahren wieder verstärkt auf ihre Eignung zur Lösung des Problems Kompaktheit geprüft.
Biologische Grundlagen - alte Erfahrungen
Die Wachstumsregulatoren der Gibberellin-Gruppe wurden 1926 im Zusammenhang mit Untersuchungen zu einer Pilzkrankheit des Reises entdeckt (Kurosawa 1926) und anschließend in allen höheren Pflanzen nachgewiesen. Sie fördern die Aktivität von wachsenden Zellen (Zellteilung und Zellstreckung).
Schon in den 50er-Jahren wurden Untersuchungen zur Beeinflussung des Beerenansatzes und Beerenwachstums bei Reben durchgeführt. Diese zeigten bei kernlosen Trauben eine Verbesserung des Ansatzes und des Beerenwachstums. Bei samenhaltigen Sorten dagegen verschlechtert die Applikation von Gibberellinen kurz vor oder während der Blüte appliziert bereits im Bereich 5 ‑ 50 ppm häufig den Beerenansatz, das Traubengerüst wird länger, die Beeren nehmen eine längliche Form an, die Beerenstiele werden dicker und die Beerenhaut fester, die Reife setzt früher ein (Weaver und McCune 1959a+b). Auch damals schon wurde der drastische Effekt auf die Fäulnisneigung beobachtet. Bereits seit 1964 ist auch bekannt, dass die Applikation von Gibberellinen in der Blütephase die Entwicklung der Knospen beeinflussen und insbesondere die Anlage und Differenzierung von Gescheinsanlagen in den Knospen hemmen kann (Alleweldt 1964). Gibberelline werden innerhalb eines Rebtriebs verlagert, nicht jedoch in benachbarte Triebe (Weaver und McCune 1959b). Bereits in diesen älteren Arbeiten wurde festgestellt, dass die Rebsorten sehr unterschiedlich auf Wachstumsregulatoren reagieren. Da die Anwendung dieser Wachstumsregulatoren bei Keltertrauben häufig mit geringeren Erträgen verbunden war, wurde die Anwendung hier nicht weiter verfolgt, erlangte jedoch bei der Produktion von Tafeltrauben weltweit große Bedeutung.
Da geringere Erträge und lockere Trauben durch die Zielvorgabe „Qualität“ außerordentlich erwünscht sind, wurden in den letzten Jahren auf diesen alten Resultaten aufbauend in deutschen Versuchsanstalten neue Versuche angelegt. Die LVWO Weinsberg konzentrierte sich dabei vor allem auf die im Anbaugebiet Württemberg wichtigen Sorten Schwarzriesling, Spätburgunder, Lemberger und Riesling.
Stand der Kenntnisse
Nach den bisher vorliegenden Ergebnissen lassen sich hinsichtlich der Reaktion auf Gibberelline zwei Gruppen bilden:
1. Burgunder-Gruppe
Bei allen Burgundersorten und Schwarzriesling führt die optimale Anwendung von ca. 20 ppm (= 150 g in 800 l Wasser/ha) zu einer signifikanten Verlängerung des Stielgerüstes, deutlich lockereren Trauben und einer drastisch verringerten Fäulnisgefahr .
Der Auflockerungseffekt ist bei dieser Anwendungskonzentration nicht sofort augenscheinlich. Nur durch genaue Messungen sind die Unterschiede festzustellen, Die Unterschiede bei der Fäulnis sind dagegen deutlich sichtbar. Die Beerenzahl nimmt ab, die verbleibenden Beeren nehmen im Volumen zu, nehmen aber aufgrund der länglichen Form eher weniger Platz am Stielgerüst ein. Der Ertrag wird nicht wesentlich reduziert (Abb. 4).
Zwar ist die Wirksamkeit der natürlichen Wachstumsregulatoren sehr kurzfristig, trotzdem haben sie nachhaltige Auswirkungen auf den Stoffwechsel der Rebe. Die Inhaltsstoffe der Trauben werden bereits bei 20ppm verändert, das Mostgewicht nimmt um 2 - 3° Oechsle zu, trotzdem ist der Säuregehalt signifikant höher, der pH-Wert niedriger. Die Stickstoffgehalte (ferm-N-Wert) nehmen etwas zu (Abb. 5). Deutlich erhöht ist trotz der größeren Beeren der Gehalt an Phenolen und Farbstoffen (Abb. 6 + 7). Die Weine werden dadurch geschmacklich wesentlich dichter. Restextrakt und Aschewerte sind nicht wesentlich verändert.
Bei der Applikation von 40 - 50 ppm (= Applikation von 150 g in 300 - 400 l/ha gezielt auf ein möglichst schmales Band) tritt eine signifikante Ertragsreduktion ein und die übrigen genannten Effekte werden verstärkt. Die Wirkung wird bei dieser Anwendungskonzentration zumindest an den optimal getroffenen Trauben augenscheinlich.
2. Andere Sorten
Bei Lemberger wird die meist schon geringe Kompaktheit nicht weiter verbessert. Mit 50 ppm wird eine leichte Reduktion des Ertrags erreicht. Die Inhaltsstoffe verhalten sich ähnlich wie bei den Burgundersorten. Austriebsschäden wurden nicht gefunden. Bei Riesling waren bei den untersuchten Konzentrationen bis 20 ppm in den Weinsberger Versuchen keine Effekte auf die Trauben, was die Lockerheit, Ertrag und Mostgewicht betrifft, festzustellen. Im Folgejahr war allerdings der Austriebsprozentsatz erheblich reduziert sowie nur wenige und zudem kleine Gescheine entwickelt ( Abb. 8). Der Ertrag lag dabei mit lediglich 43,5 kg/a etwa nur halb so hoch wie bei vorjährig unbehandelt mit 86,2 kg/a. Verschiedene Versuchsansteller haben insbesondere bei Riesling und Silvaner sehr unterschiedliche Wirkungen und Nachwirkungen festgestellt. Die Ergebnisse schwanken allgemein wesentlich stärker als bei der Burgunder-Gruppe.
Rechtliche Situation
Gibberelline sind im Handel als registrierte Pflanzenstärkungsmittel mit der Zweckbestimmung Kernobst vor nicht parasitären Beeinträchtigungen (Frostschäden) zu schützen. Die Wirksubstanz wird im Gegensatz zu synthetischen Wachstumsregulatoren biotechnologisch hergestellt, ist also ein Naturstoff. Da die Anwendung von Pflanzenstärkungsmitteln gesetzlich nicht wie bei Pflanzenschutzmitteln klar geregelt ist (keine Indikationszulassung), wurden von Juristen unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Zulässigkeit der Anwendung im Weinbau vertreten. Einerseits sind biologische und natürliche Verfahren nach den Grundsätzen der „Guten Fachlichen Praxis“ immer vorrangig anzuwenden. Die Anwendung von Gibberellinen wäre als biologisches Verfahren demnach sogar vorrangig vor Fungiziden einzusetzen. Andererseits sehen Behörden wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Einhaltung der bei der Registrierung festgelegten Zweckbestimmung und der Gebrauchsanleitung als rechtlich verbindlich an, da diese Angaben die Voraussetzung für die Beurteilung möglicher schädlicher Auswirkungen sind. Der Einsatz ohne Zulassung im Weinbau wäre nach der Rechtsaufassung des BVL demnach rechtswidrig, aber nicht automatisch ein Bußgeldtatbestand.
Da nur ein Teil der Fäulniserreger (Botrytis) mit den zugelassenen Fungiziden bekämpft werden kann, gegen Essigfäule aber lediglich die Anwendung von Gibberellinen wirksam ist, wurde vom BVL wegen Gefahr in Verzug 2004 eine kurzfristige, befristete Genehmigung für die Anwendung von Gibb3 (150 g/ha) als Pflanzenschutzmittel zur Minderung der Essigfäulegefahr erteilt. Sie wurde auf Sorten der Burgundergruppe und Portugieser beschränkt, da hier die Gefahr besonders groß und das Risiko unerwünschter Folgewirkungen sehr gering ist. Der Hersteller des Präparats bemüht sich zur Zeit um eine reguläre Zulassung. Europaweit wird eine Aufnahme in die Wirkstoffliste für Pflanzenschutzmittel angestrebt. Für 2005 liegt mittlerweile wieder eine Genehmigung vor. Die Genehmigung ist ausschließlich auf die Anwendung gegen Essigfäule an Weinrebe beschränkt. Sie wird ab dem 01. April 2005 für 120 Tage erteilt. Die genehmigte Menge ist auf 3.750 kg begrenzt.
Abbildung 9: Schwarzriesling ohne (links) und bei optimaler Anwendung (rechts) von Gibb3 |
Anwendungsempfehlungen
Die kurzfristige Genehmigung wird vom Hersteller sicher nur für die 2004 erwähnten Sorten beinhalten. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist auch nur bei den kompakten Burgundersorten (Grau‑, Weiß‑ und Spätburgunder, Samtrot und Schwarzriesling) unter Abwägung des Nutzen‑/Schaden-Risikos ein Einsatz sinnvoll.
150 g/ha = 15 Tabletten, können in 400 l Wasser/ha ausgebracht werden, wenn eine Ertragsreduktion in Kauf genommen wird. Dabei muss die Traubenzone so gezielt behandelt werden, dass alle Gescheine tropfnass sind. Dies ist mit dieser Aufwandmenge nur bei engem Biegdrahtabstand oder Flachbögen möglich. Bei weitem Biegdrahtabstand mit breiter Traubenzone sind bis zu 800 l/ha notwendig, so dass sich die Konzentration vermindert. Die Wirkung beschränkt sich in diesem Fall auf die Auflockerung der Traubenstruktur.
Optimaler Anwendungstermin ist nach derzeitigem Kenntnisstand die Vollblüte. Anwendungen nach dem Termin „abgehende Blüte“ verstärken eher die Kompaktheit der Trauben. Bei verzögerter Blüte wird nur ein Teil der Trauben wirksam getroffen. Über die Wirkung einer gesplitteten Anwendung des Mittels an 2 Terminen liegen noch zu wenig Erfahrungen vor, um diese Vorgehensweise bei verzögerter Blüte beurteilen zu können.
Damit das Eindringen in das Pflanzengewebe optimal ablaufen kann, sollte der Spritzbelag möglichst langsam antrocknen. Die Applikation in den frühen Morgenstunden oder spät abends kann von Vorteil sein. Der Zusatz eines Netzmittels kann die Wirkung ebenfalls verbessern. Sorgfältige Ausbrecharbeiten sind Voraussetzung für eine gleichmäßige Wirkung. Das Befahren jeder Gasse ist selbstverständlich eine Grundvoraussetzung, da die Gibberelline nicht auf „schlecht getroffene“ Gescheine verlagert wird. In der Regel sind Mischungen mit anderen Pflanzenschutzmitteln nicht möglich bzw. nicht sinnvoll.
Rückstände sind nicht zu erwarten, da es sich um einen Naturstoff handelt und der Abstand zur Ernte sehr lang ist.
Literatur
Alleweldt, G. (1964): Die Umweltabhängigkeit des vegetativen Wachstums, der Wachstumsruhe und der Blütenbildung von Reben (Vitis-Species). III. Die Blütenbildung. Vitis 4, 240-261.
Kurosawa E. (1926): Experimental studies on the nature of the substance secreted by the "bakanae" fungus. Nat. Hist. Soc. Formosa 16, 213-227.
Weaver, R.J.; McCune, S. B. (1959a): Response of certain varieties of Vitis vinifera to gibberellin. Hilgardia 28, 297-350.
Weaver, R.J.; McCune, S. B. (1959b): Effect of gibberellin on seeded Vitis vinifera, and ist translocation within the vine. Hilgardia 28, 625-645.
Stand 23.2.2005