Was tun nach frühen (Vorblüte) Hagelschäden? |
R. Fox
LVWO Weinsberg, Referat Weinbau
E-Mail: rudolf.fox@lvwo.bwl.de
Grundsätzliche Überlegungen
Die Reben sind aus dem Gleichgewicht, da die hormonproduzierenden Triebspitzen fehlen und die Rebe nicht auf Austrieb "eingestellt" ist. Je nach Temperatur dauert es deshalb ca. 2 - 4 Wochen, bis sich der Hormonhaushalt auf Mobilisierung und Austrieb intakter Knospen (schlafende Augen am Altholz, ungeschädigte Knospen an grünen Trieben) eingestellt hat. Infolge der fehlenden Triebspitze werden keine Hemmhormone gegenüber den Knospen am grünen Trieb gebildet, und es kommt zum weitgehenden Austrieb der dort angelegten, intakten Winterknospen. Nachdem hierbei verstärkt die höher stehenden Knospen an den stark geschädigten Trieben austreiben, ist baldiger "Rückschnitt" auf das unterste, intakte Auge sinnvoll, um die sich entwickelnde Wuchskraft zielgerichtet "wirksam werden zu lassen."
Dort, wo der Schaden sehr stark und die Anzahl intakter Knospen an den jungen Trieben gering ist, ist damit zu rechnen, dass verstärkt schlafende Augen/Wasserschosse aus dem Altholz austreiben. Dies ist sortenspezifisch sowie in Abhängigkeit der Vitalität der Stöcke recht unterschiedlich.
Der – gerade um die Blütezeit –weitgehend entleerte Reservestoffvorrat (Energiereserven) führt zunächst zu "langsamem" Wachstumsbeginn. Infolge der langen Sommertage und des fehlenden oder äußerst geringen Traubenbehanges kommt es jedoch im Spätsommer/Herbst zu anhaltend starkem Wachstum mit verspätetem Wachstumsabschluss sowie verspätet einsetzender Holzreife. Dies bedeutet eine höhere und längere Anfälligkeit des Laubes sowohl gegen Peronospora als auch Oidium.
Auch arbeitswirtschaftlich ist der konsequente Rückschnitt auf ein sichtbares Auge der späteren Korrektur durch Ausbrechen von Trieben vorzuziehen.
Ziele
Oberste Ziele müssen eine ausreichende Assimilationsfläche, ausreichende Trieblängen bzw. Triebstärken, gute Belichtung sowie gute Holzreife für das nächstjährige Anschnittholz sein. Nachdem bei sehr starkem Schaden kein bzw. kaum Traubenbehang vorhanden ist, ist im späteren Verlauf mit übermäßigem Wuchs – physiologisches Ungleichgewicht – zu rechnen. Um dem entgegenzuwirken, sollte jegliche Düngung sowie intensive mechanische Bodenbearbeitung unterlassen werden.
Gute Holzreife erfordert gesundes Laub und somit bei lang anhaltendem Triebwachstum im Spätsommer/Herbst einen ausreichenden Pflanzenschutz.
In Junganlagen ist vielfach eine Neuaufzucht notwendig, um dauerhaft intakte Stämme zu erhalten.
Ertragsanlagen
Situation: Früher (Austrieb bis Blüte), sehr starker Hagelschaden, keinerlei Gescheine/Trauben
Soweit erforderlich, fortlaufend dürre Triebe herausnehmen. Baldiger Rückschnitt auf kurze Stummel (sichtbares Auge) fördert Austrieb aus Basis. Treiben mehrere Triebe je grünem Triebstummel aus, verteilt sich die Wuchskraft zunächst auf mehrere Triebe, die dann natürlich schwächer bleiben und einen größeren Aufwand bei der späteren Korrektur bedeuten. Laubwand gleichmäßig locker füllen.
Gegebenenfalls Aufbinden der Wasserschosse am Stamm; lokale Verdichtungen vermeiden. Bei zu vielen Wasserschossen auf 4 – 6 gut verteilte Triebe ausbrechen.
Etwa gleich hohe Triebzahl/Stock wie "normal" anstreben. Sich entwickelnde Gescheine/Trauben können belassen werden. Laubschnitt zum geeigneten Termin wie üblich.
Dort, wo gegen Bogenende noch Laub vorhanden ist, ist gerade hier zunächst mit erneuter Laubentwicklung zu rechnen. Diese sollte vorerst nicht unterbunden werden. Im weiteren Verlauf kann es sich jedoch zur Förderung der basalen Triebe als günstig erweisen, die Laubentwicklung gegen Bogenende einzuschränken.
Situation: Ertragsanlagen mit Teilschädigung (ca. 50 % bis 80 % Ertragsausfall und starke Triebschädigung)
Zunächst möglichst vorhandenes Laub sowie Gescheine/junge Trauben belassen, gegebenenfalls Triebe kurz über der Traube abschneiden. Dürre Teile fortlaufend aus Laubwand herausnehmen. Zur Förderung der Zielholzentwicklung Triebe ohne Trauben im Stockinneren auf ein sichtbares Auge einkürzen. Im Laufe des Sommers, soweit erforderlich, in Verdichtungszonen ausbrechen/auf einen weiterführenden Trieb/Geiz einstellen. Besonders im Stockinnern auf gute Belichtung zur Förderung der Holzreife achten. Bei zu vielen Wasserschossen (z. B. Burgunderarten) auf 2 – 3/Stock ausbrechen. Sich neu entwickelnde Gescheine/Trauben können bei stärkerem Schädigungsgrad belassen werden.
Situation: Ertragsanlagen mit geringem Schädigungsgrad
Keine besonderen Maßnahmen erforderlich. Lediglich dürres Laub herausnehmen.
Junganlagen
Situation: Diesjährig gepflanzte Reben
Eventuell auf kurzen Stummel zurückschneiden und zu gegebener Zeit auf einen Trieb ausbrechen und aufbinden.
Situation: Reben im 1. Standjahr (2jährige) mit starkem Hagelschaden
Wo starke Einschläge im jungen Stamm vorhanden, auf Stammersatz hinarbeiten. Stämmchen ca. 2 Wochen nach Schadensereignis auf 10 – 15 cm runterschneiden. Möglichst 2 –4 Triebe/Stock hochziehen und bis Biegdraht ausgeizen.
Situation: Reben im 2. oder gar 3. Standjahr
Bei starken Hagelschäden an jungen Stämmchen (wenig schützende Borke) ebenfalls auf Dauer für Stammersatz sorgen. Zunächst Wasserschosse parallel aufbinden.
Bodenpflege/Düngung
Bei Totalschädigung Boden möglichst nicht intensiv mechanisch bearbeiten, um Triebwuchs nicht unnötig zu fördern. Auch in nicht eingesäten Gassen zunächst lediglich mulchen. Wuchs im Spätsommer soll gebremst sowie Beginn der Holzreife gefördert werden. Keinerlei Düngung sinnvoll.
Wenn Triebe aus dem Bereich des Veredlungskopfes hochgezogen werden müssen, muss gezielt auf Bewuchsfreiheit (indirekter Pflanzenschutz) im Unterstockbereich geachtet werden. Gegebenenfalls hier einige Tage nach Hagelereignis Herbizid oder Flachschar einsetzen, um Schädigung der jungen Triebe durch Abtrifft oder durch "Taster" zu vermeiden.